Referat, gehalten an der Medienkonferenz «Nein zum neuen Transplantationsgesetz», Bundes-Medienzentrum, Bern, 5. April 2022, 15.15 Uhr (es gilt das gesprochene Wort)
von Josef Dittli, Ständerat FDP UR
Es geht bei der Widerspruchsregelung bei der Organentnahme um eine grundsätzliche und wichtige staatspolitische Frage. Das neue Transplantationsgesetz führt einen Paradigmenwechsel bei der Organspende herbei. Wer sich nicht wehrt, gilt grundsätzlich als Spender. Damit wird eine Erwartungshaltung generiert, die einer Pflicht zur Organspende gefährlich nahe kommt. Dies sagen auch, gemäss «NZZ», der Zürcher Staatsrechtsprofessor Thomas Gächter und die Juristin Birgit Christensen in einem 2021 publizierten Aufsatz.
Artikel 10 Absatz 2 der Bundesverfassung lautet: «Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit.» Mit der Widerspruchsregelung wird diese Verfassungsbestimmung arg strapaziert. Hier werden die Grundwerte unseres liberalen Rechtsstaates eingeschränkt. Diesen tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte gilt es daher abzulehnen. Wenn nämlich Rechte zunächst eingefordert werden müssen, kommt dies einem Paradigmenwechsel gleich. Der Staat hat die Rechte der Bürgerinnen und Bürger aber zu schützen und darf sie nicht im Interesse Dritter in unzulässiger Weise einschränken oder umkehren. Selbst die Nationale Ethikkommission sieht dies ähnlich und lehnt deshalb die Widerspruchslösung ebenfalls ab.
Die Widerspruchslösung verletzt zudem den Grundsatz der informierten Zustimmung massiv. Sie stellt die Vermutung auf, dass jeder, der sich nicht zu Lebzeiten in das Widerspruchsregister eingetragen und explizit sein Nein zur Organspende bekundet hat, zur Gruppe der Ja-Sager gehört. Mit dem Erfordernis der selbstbestimmten und aufgeklärten Einwilligung jedenfalls ist dies nicht in Einklang zu bringen. Und was sagt der Bundesrat dazu? In seiner Botschaft hält er fest, dass eine intensive Information der Bevölkerung unabdingbar sei, um die Verfassungsmässigkeit der Widerspruchslösung zu gewährleisten. Darüber, wie der Bundesrat das bewerkstelligen will, erfährt man indes nicht viel. Im Gesetzentwurf heisst es lediglich, dass das Bundesamt für Gesundheit und die Kantone die Öffentlichkeit über die Möglichkeiten informieren, den eigenen Widerspruch im entsprechenden Register einzutragen bzw. den Eintrag zu widerrufen.
Die Rechtsprofessoren Christoph A. Zenger und Franziska Sprecher von der Universität Bern warnen in der «NZZ» wie folgt: «Wenn die Widerspruchslösung für die Organentnahme gutgeheissen wird, droht die schrittweise Auslieferung der Menschen an die Medizin.» Unabhängig davon, wie die Widerspruchslösung ausgestaltet wird, kann sie also dazu führen, dass einer Person gegen ihren Willen Organe entnommen werden, wenn sie es versäumt hat, rechtzeitig zu widersprechen. Darum stimme ich Nein zur Änderung des Transplantationsgesetzes.
Josef Dittli